Sonntag, 30. März 2008

Oje, o weh, ojemine!

Eine neue sprachliche Unsitte breitet sich aus: Die Adverbien "jemals" und "je" werden anstelle von "... aller Zeiten" verwendet.

Zwei typische Beispiele:

Das beste Video jemals. Die größte Erfindung je.

Dabei handelt es sich um Eins-zu-eins-Übersetzungen der englischen Struktur "... ever", z. B. The best video ever. Inwieweit diese Verwendungsweise im Englischen akzeptabel ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Deutschen jedoch sind "jemals" und "je" als nachgestellte Attribute ganz eindeutig ungrammatisch.

Aber eben genau darin besteht ja der Reiz dieser syntaktischen (Fehl-)Konstruktion: auf der immerwährenden Suche nach Veränderung kommt den Neuerern eine Anomalie gerade recht, garantiert sie doch die erwünschte Aufmerksamkeit der Adressaten.

Fragt sich nur, ob deren Reaktion positiv oder negativ ausfällt.

Die unkritische Masse wird's schon schlucken, wie so vieles andere zuvor... Und bald wird es dann an jeder Straßenecke zu hören sein, und in der Werbung sowieso.

Schade eigentlich, daß Sprache allen offensteht...

Statt mich über eine ohnehin unabänderliche Tatsache zu ärgern, sollte ich vielleicht versuchen, das Warum zu ergründen. Et voilà, ich finde folgende Erklärung: "ever" wird in den meisten Fällen mit "je" oder "jemals" übersetzt. Die inakzeptable Verwendung als nachgestelltes Attribut resultiert also möglicherweise aus einem Übersetzungsfehler, der die syntaktischen Beschränkungen von "je" und "jemals" (vermutlich aus Unwissenheit) ignorierte. Hernach wurde jene wohl ursprünglich unbeabsichtigte (um nicht zu sagen: akzidentielle) Kreation dann mit dem Etikett "cool" oder "originell" versehen und erhielt auf diese Weise ihre höchst zweifelhafte Legitimation.

Das Zustandekommen der mißlungenen Übersetzung könnte durch die Konkurrenz der englischen Entsprechung von "... aller Zeiten", "... of all times" begünstigt worden sein. Derart, daß für "... ever" nach einer anderen Übersetzung gesucht wurde, weil "... aller Zeiten" schon als Pendant zu "... of all times" vergeben schien.

Ein etwas antiquiertes Gegenbeispiel: Der US-amerikanische Bibelfilm The Greatest Story Ever Told (1965) trägt in Deutschland den Titel Die größte Geschichte aller Zeiten.

Sprachwandel als Konstante.

Freitag, 28. März 2008

Zungenbrchr?

Heute geht es um Vokallosigkeit zwischen zwei Konsonanten, genauer gesagt zwischen "t"/"d" und "r" in einsilbigen Wörtern fremdsprachiger Herkunft.

Diverse Nachrichtensprecher tun sich mit der Artikulation dieser Lautfolgen außerordentlich schwer. So wird aus Al-Sadr (eigentlich assimiliert: As-Sadr) fast immer Al-Sadre, bisweilen auch Al-Sader. Autsch.

Ein anderes Beispiel ist der Vorname des HSV-Fußballers Piotr Trochowski, der von Medienleuten regelmäßig zu "Piotre" verunstaltet wird.

Ja, nicht jeder kann Russisch, Polnisch oder Arabisch, aber was ist mit Sprecherausbildung? Sprecherziehung?

Einfach rollen lassen... rrr!

Das knurrende Mammut

Mittwoch, 26. März 2008

Mammut, krisengeschüttelt

Hin und wieder unternimmt das Mammut einen Versuch, die Welt (oder zumindest den darin stattfindenden Sprachgebrauch) zu verbessern. Mit überaus bescheidenem Erfolg, wie man sieht:

Mäkelndes Mammut:

"Krise" schreibt man nicht mit "ie"...

Antwort:

(...) deutsche rechtschreibung lässt auch kriese mit ie schreiben.


- D a s Rechtschreibwörterbuch möchte ich sehen... Schön, daß wir in einer Zeit leben, wo jeder seine Regeln selbst erfindet. Danke, Kultusministerkonferenz! Anarchie und Chaos, sie leben hoch!

Soll ich es nun bedauern oder mich vielmehr glücklich schätzen, keine Lehrerlaufbahn eingeschlagen zu haben? Hätte ich dem Bürschchen sein Schreibheft um die Ohren hauen können... Aber körperliche Züchtigung ist ja verboten. Gut, also erklären wir dem jungen Mann, daß Krise aus dem Griechischen stammt, die deutsche Schreibung mit "i" sich somit am altgriechischen κρίσις orientiert und die deutsche Orthographie in ihrer bekannten Inkonsequenz Langvokale zwar häufig, aber keineswegs immer durch "ie" kennzeichnet.

Krisengebiet deutsche Sprache? Oder alles nur Pseudokrise?

Sonntag, 16. März 2008

Leipzig Book Fair

Mammut war auf der Buchmesse. So weit, so gut.

Doch das Mammut störte sich an der arroganten Attitüde, die das Personal der etablierten Verlage an den Tag legte. Selbstgefällig und gänzlich gleichgültig den Besuchern ihrer Stände gegenüber, standen oder saßen ständig Damen und Herren im Weg herum. Natürlich ist mir klar, daß auch der freundlichste Aussteller zuweilen seine strapazierten Venen entlasten und eine entspanntere Position einnehmen muß. Aber doch bitte nicht genau vor den Bücherregalen, so daß niemand mehr an die begehrten Objekte herankommt!

Scheinbar hat man es bei "den Großen" nicht nötig, sich um die Kunden zu bemühen. Kommen ja auch von selbst. Kaufen die Bestseller ohnehin. Messestand mit Alibi-Funktion. Dabeisein.

Schön, daß es da auch noch die kleineren Verlage gibt. Wo der Verlagsleiter persönlich am Stand steht und selbst am späten Nachmittag bereitwillig und freundlich lächelnd über seine Neuerscheinungen Auskunft erteilt. Weil es für ihn darauf ankommt. Buchmesse als Chance, nicht nur als lästige Pflichtübung.

Ein Anliegen, das Unterstützung verdient.

Montag, 10. März 2008

Mars-Mitbringsel mißfällt mißmutigem Mammut

Der Süßwarenhersteller Mars hat bei der Abnahme seiner neuen Amicelli-Anzeigenkampagne offensichtlich wenig Sorgfalt walten lassen. Wie sonst konnte es passieren, daß der öffentliche Raum mit Plakatierungen verunziert wird, die neben dem Claim auch folgende Formulierung enthalten:

"Die kann ich überall mitbringen."

Entschuldigung, die Damen und Herren Werbetexter, nicht alles, was womöglich gut klingt, ist auch tatsächlich grammatisch. Der oben zitierte Satz ist es jedenfalls ganz sicher nicht.

Ich darf zur Erläuterung des Problems den Wörterbucheintrag von "mitbringen" heranziehen:
  • mit|brin|gen [V.21, hat mitgebracht; mit Akk.] jmdn. oder etwas m. mit an den Ort bringen, an den man sich begibt; er hat einen Gast, ein Geschenk mitgebracht; er bringt für diese Aufgabe die nötigen Voraussetzungen mit [übertr.] er hat, besitzt für diese Aufgabe die nötigen Voraussetzungen
(aus: Wahrig Deutsches Wörterbuch, Bertelsmann)

Also: "jmdn. oder etwas mit an den Ort bringen, an den man sich begibt". Für einen korrekten grammatischen Satz mit dem transitiven Verb "mitbringen" braucht es somit ein Subjekt und ein Akkusativobjekt. Ein Beispiel: Sie bringt die Blumen mit.

Fakultativ kann noch eine Lokalbestimmung hinzugefügt werden, die den Ort, an den man etwas mitbringt, angibt.
Zum Beispiel: Peter brachte seine neue Freundin auf die Party mit. Anna brachte ihren Teddy mit in die Kinderkrippe.

Die lokale Adverbialbestimmung läßt sich mit wohin? erfragen. Zum Beispiel: Wohin brachte Peter seine neue Freundin mit? Antwort: Auf die Party. Wohin brachte Anna ihren Teddy mit? Antwort: In die Kinderkrippe. Das heißt, es handelt es sich in beiden Fällen um eine Richtungsangabe.

Die Konsequenz für den Amicelli-Satz lautet: "Die kann ich überall mitbringen" ist deshalb ungrammatisch, weil "mitbringen" nicht in Verbindung mit einem Ortsadverb (z. B. überall) funktioniert. Die Frageprobe verdeutlicht dies: *Wo kann ich die mitbringen? Antwort: Überall.

"mitbringen" verlangt nach einem Richtungsadverb (z. B. überallhin, überallher). Die Frageprobe erfolgt dann mit wohin? oder woher?. Zum Beispiel: Wohin kann ich die mitbringen? Antwort: Überallhin. Woher kann ich die mitbringen? Antwort: Überallher.

Die Amicelli-Werbung sollte demnach folgenden Wortlaut haben: "Die kann ich überallhin mitbringen."

Bring it on home to me...

Donnerstag, 6. März 2008

Wir marschieren Seit' an Seit', seid bereit!

Ist es nur so schwer, "seit" und "seid" auseinanderzuhalten?

Das sind doch zwei völlig verschiedene Wörter! Ja gut, wegen der Auslautverhärtung im Deutschen werden sie identisch ausgesprochen, das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten.

So gehören "seit" und "seid" unterschiedlichen Wortarten an: "seit" kann entweder als Präposition mit Dativ auftreten (z. B. in seit langem, seit seiner Geburt) oder als Konjunktion (z. B. in seit sie da ist; seit wir uns kennen). Bei "seid" dagegen handelt es sich um die 2. Ps. Plural Präsens Indikativ von "sein" (z. B. in Seid ihr schon da?) (oder den Imperativ Plural Präsens von "sein", z. B. im sozialistischen Pioniergruß Seid bereit!).

Seltsamerweise wird nach meinen Erfahrungen kaum "seit" anstelle von "seid" verwendet, wohingegen der umgekehrte Fall, die fälschliche Ersetzung von "seit" durch "seid", recht häufig vorzukommen scheint.

Woran könnte das liegen? Sollte etwa die Verbform präsenter sein als die Präposition? - Kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, daß sowohl in Texten als auch in der gesprochenen Sprache die betreffende Verbform ungleich seltener Verwendung findet als die entsprechende Präposition oder Konjunktion.
(Vgl hierzu: wortschatz.uni-leipzig.de, Suchanfrage: "seid", Ergebnis: Häufigkeitsklasse 12 (d.h. der ist ca. 2^12 mal häufiger als das gesuchte Wort), Suchanfrage: "seit", Ergebnis: Häufigkeitsklasse 5 (d.h. der ist ca. 2^5 mal häufiger als das gesuchte Wort))

Offensichtlich ist die Frequenz nicht ausschlaggebend für dieses Problem. Eine näherliegende Erklärung wäre, daß Lehrer ihren Schülern so oft die Schreibung der wenig gebräuchlichen Form "seid" vor Augen führen, daß sich darob eine unlösbare Verwirrung im Schülerhirn entwickelt, die zeitlebens nicht mehr zu beheben ist. Es wäre Aufgabe einer Studie, dies zu be- bzw. widerlegen. Oder aber all meine Hypothesen sind müßig, weil die hier angeprangerten Fehlleistungen in Wirklichkeit wieder einmal nur der Gedankenlosigkeit geschuldet sind, mit der heutzutage vielerorts geschrieben wird.

Generell gilt: Vielleicht sollten wir etwas mehr lesen, anstatt nur noch fernzusehen...