Sonntag, 27. Januar 2008

Theodizee

Anläßlich des heutigen Holocaust-Gedenktages eine Stellungnahme zu der oft gehörten Aussage, man könne nach Auschwitz nicht mehr an Gott glauben:

Nicht Gott hat Auschwitz zugelassen, sondern die Menschen, seine Geschöpfe, die mit freiem Willen ausgestattet selbst wählen dürfen, ob sie ihrem Nächsten Gutes oder Böses tun.

Daß wir leider zu oft zugunsten des Übels entscheiden und uns vor allem der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen, liegt in unserer eigenen Verantwortung.

Nicht Gott sollten wir daraus einen Vorwurf machen, sondern uns selbst, unserer Gleichgültigkeit und Selbstsucht, die nur zu gern einhergeht mit siechem Ethos und welker Moral.

Würden wir alle unseren zwischenmenschlichen Verpflichtungen genügen, wäre die Welt eine bessere und der Himmel auf Erden nicht mehr weit. Dazu brauchte es keine Wunder. Nur die alltägliche Anteilnahme und Bereitschaft, füreinander einzustehen.

Da die meisten von uns aber sehr gut wegsehen können, wenn sie mit Elend konfrontiert werden, und im entscheidenden Moment moralischer Prüfung versagen, werden Völkermord und Vernichtungskriege auch in Zukunft nicht der Vergangenheit angehören.

Wir sind die schweigende Mehrheit. Wir tragen eine Mitschuld. Darum laßt uns wachsam sein!

Samstag, 26. Januar 2008

Zum Genus von "Prospekt"

Ist es korrekt, wenn in einer deutschen Tageszeitung auf "das beiliegende Prospekt" verwiesen wird? - Ganz klar: Nein!!! Ich zitiere dazu das Deutsche Universalwörterbuch des Duden Verlages: "Pros|pekt, der, österr. auch: das (...)". Fazit: In Deutschland heißt es "der Prospekt"!!!

Es wäre schön, wenn nicht ständig die unreflektierten Äußerungen Unwissender von Gleichgültigen (oder umgekehrt) wiedergekäut würden!

Dieser Wunsch wird sich wohl nicht erfüllen, auch weil inzwischen jeder Trottel bei der Zeitung oder beim Fernsehen arbeiten darf, selbst wenn er weder über Sprachgefühl noch -kenntnis verfügt.

Donnerstag, 24. Januar 2008

Nachtrag: Anziehend Anzügliches

Gestern ist es wieder passiert. Da sagt doch jemand: "Zieh dir die Brille auf!" - Hallo, "aufziehen" kann man eine Uhr, ein Spielzeugauto, eine Show ("groß aufziehen") oder auch eine Person ("jndn. mit etwas aufziehen"). Brillen werden aufgesetzt, Pullover übergezogen!

Wie hieß das so schön? - "Sie sind Deutsche(r), also können Sie Deutsch."

Ach, wenn dem doch immer so wäre!

Dienstag, 22. Januar 2008

Zur Betonung von "Eiskunstlauf"

Lieber unwissender Sportreporter von MDR info,

die differenzierende Betonung "Eiskúnstlauf" ist nur dann zulässig, wenn im Kontext von "Eisschnellauf" oder ähnlichem die Rede war. Steht das Wort allein oder wurde zuvor von Handball, dem Wetter oder irgend etwas anderem gesprochen, liegt der Hauptakzent des Kompositums auf der ersten Silbe: "Éiskunstlauf".

Bitte in Zukunft nicht mehr falsch sagen!

Nachtrag: gespannte Kurzvokale

Es heißt nicht "Koooohperation", sondern "Kooperation", und nicht "tooohlerant", sondern "tolerant"!

Oh, when will they ever learn?

Montag, 21. Januar 2008

Anziehend Anzügliches

Leider ist in den Medien eine (nach subjektivem Eindruck) immer stärker zunehmende Ausdrucksverarmung zu beklagen. So wird in bezug auf Kleidungsfragen "anziehen", "anlassen" und „ausziehen“ gebraucht, ohne eine Differenzierung nach der Art des Kleidungsstückes respektive des angezogenen Gegenstandes vorzunehmen.

Dies ist bedauerlich, stellt doch die deutsche Sprache zu diesem Zwecke eigentlich eine Fülle von Partikelverben bereit:

jmdm./sich etwas anziehen“: Alle Arten von Kleidung, in die man mit einem oder mehreren Körperteilen hineinschlüpft, d. h. Ober- und Unterbekleidung, Schuhe, Socken, Handschuhe.

jmdm./sich etwas überziehen“: Ein Kleidungsstück wird über ein anderes, bereits am Körper befindliches gezogen, z. B. Jacken, Mäntel, aber auch Pullover, Socken usw.

Bei Kleidungsstücken wie Jacken, Mänteln oder Pullovern, die für gewöhnlich über anderen Kleidungsstücken getragen werden, ist auch dann der Gebrauch von „jmdm./sich etwas überziehen“ möglich, wenn mit ihnen nackte Haut bedeckt wird.

Somit ist die Bedeutung von „jmdm./sich etwas überziehen“ spezieller als die von „jmdm./sich etwas anziehen“, d. h. in allen Fällen, in denen „jmdm./sich etwas überziehen“ verwendet wird, kann auch „jmdm./sich etwas anziehen“ stehen. (Ausnahme: „jmdm./sich ein Kondom überziehen“: Ein handelsübliches Kondom kann man nicht anziehen. Mögliche Erklärung: Ein Kondom ist kein Kleidungsstück.)

jmdm./sich etwas aufsetzen“: Gilt für alles, was ohne größeren Aufwand an exponierten Stellen des Körpers befestigt wird, z. B. Brillen, Kopfbedeckungen (Hut, Mütze, Basecap), Ohrenwärmer, Pappnasen, Fingerhüte, Masken.

jmdm./sich etwas umlegen/anlegen“: Gilt für alles, was um den Körper bzw. einen Körperteil herum befestigt wird, z. B. Ketten, Bänder, Gürtel, Krawatten, Colliers.

jmdm./sich etwas umbinden“: Gilt für alles, was mit einem Knoten, einer Schlaufe, Schließe oder Schnalle um den Körper bzw. einen Körperteil herum befestigt wird, z. B. Tücher, Gürtel, Krawatten, Schals, Schürzen, Augenbinden.

jmdm./sich etwas umhängen“: Gilt für alles, was „um Schultern und Rücken“ (Bertelsmann Wörterbuch, 2004, umhängen) gehängt wird, z. B. Mäntel, Stolen, Umhänge, Boleros, Decken, Ferngläser.

jmdm./sich etwas anstecken“: z. B. Ringe, Broschen.

jmdm./sich etwas überstreifen“: Gilt für alle eng anliegenden Kleidungsstücke bzw. Accessoires, die „mit gleitender Bewegung“ (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 2006, streifen) angezogen bzw. angelegt werden, z. B. Pullover, Strumpfhosen, Leggings, Ringe, Kondome.

Darüber hinaus hat „jmdm./sich etwas überstreifen“ noch eine zweite Bedeutung: Kleidungsstücke „rasch, achtlos anziehen“ (Bertelsmann Wörterbuch, 2004, überstreifen) bzw. schnell überwerfen, z. B. Jacken, Mäntel.

Somit ist die zweite Bedeutung von „jmdm./sich etwas überstreifen“ eine engere Bedeutung von „jmdm./sich etwas anziehen“.

Analog zu der hier demonstrierten sprachlichen Variabilität des Anziehens verhält es sich mit „anlassen“ bzw. „ausziehen“:

jmdm./sich etwas anziehen“ > „etwas angezogen lassen; anlassen, anbehalten (ugs.)“ > „etwas ausziehen“

jmdm./sich etwas überziehen“ > „etwas angezogen lassen; anlassen, anbehalten (ugs.)“ > „etwas ausziehen“

jmdm./sich etwas aufsetzen“ > „etwas auf etwas lassen/behalten; auflassen, aufbehalten (ugs.)“ > „etwas absetzen, abnehmen“

jmdm./sich etwas umlegen/anlegen“ > „etwas umgelegt/angelegt lassen; umlassen, umbehalten (ugs.)“ > „etwas ablegen, abnehmen“

jmdm./sich etwas umbinden“ > „etwas umgebunden lassen; umlassen (ugs.)“ > „etwas ablegen/abbinden“

jmdm./sich etwas anstecken“ > „etwas angesteckt lassen; auflassen (ugs.)“ > „etwas abnehmen“

jmdm./sich etwas überstreifen“ > „etwas angezogen lassen; anlassen, anbehalten (ugs.)“ > „etwas abstreifen/ausziehen“

Die Grenzen zwischen den einzelnen Ausdrücken sind zum Teil fließend, d. h. die Verben können in manchen Fällen ausgetauscht werden. Gleichwohl sollte deutlich geworden sein, daß „anziehen“ in Verbindung mit Accessoires jedweder Art (seien es Kopfbedeckungen, Sehhilfen oder Schmuckstücke) kein adäquates Verb darstellt.

Er nahm die Brille ab, streifte den Ring über den Finger und setzte seinen Hut auf.

Samstag, 19. Januar 2008

Wider die Zerdehnung der gespannten Kurzvokale!

Es heißt nicht "Schooohkolade", sondern "Schokolade", nicht "Krooohkodil", sondern "Krokodil", nicht "Pooohlitik", sondern "Politik", und auch nicht "Pooohlizei", sondern "Polizei"!!!

Und liebe Frau Sonia Mikich vom WDR-Magazin Monitor: Es heißt nicht "Mooohnitor"!

Anstelle eines Kurzvokals einen Langvokal zu artikulieren, zeugt weder von Vornehmheit noch von geistiger Überlegenheit, es ist schlichtweg falsch!

Doch es gibt auch positive Ausnahmen: Mein Dank gilt den Kollegen von arte, die eine "Dokumentation" auch als solche ankündigen.

Freitag, 18. Januar 2008

Was ist nur mit dem Imperativ Sgl. passiert?

Gibt es einen besonderen Grund dafür, daß der Imperativ Sgl. der starken Verben immer häufiger durch die 1. Ps. Sgl. Präsens ersetzt wird? Ein paar gruselige Beispiele: "Nehme dein Leben in die Hand!", "Lese dir die Aufgaben durch!", "Gebe nicht auf!"

Liebe Leute, habt Ihr noch nie von "Nimm 2" gehört?